Als Reaktion auf die Schrecken des ersten Weltkriegs ins Leben gerufen, von den Nazis als staatlich verordneter „Heldengedenktag“ missbraucht und nach den Gräueln des 2. Weltkriegs in der Bundesrepublik erneut eingeführt – derVolkstrauertag hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Daran erinnerte die Haarer Bürgermeisterin Gabi Müller bei der Gedenkstunde am Sonntag (16. November). Seit dem zweiten Weltkrieg wird an diesem Tag auch der Opfer von Vertreibung und Flucht gedacht. Und mit Vertreibung und Flucht sind wir auch heute konfrontiert – auch in Haar.
Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Krieg sei der Volkstrauertag nicht mehr nur ein Tag der Trauer, sondern ein Tag des Gedenkens geworden, betonte Gabi Müller in ihrer Rede. Des Gedenkens an die Opfer der Gewalt, der Soldaten, die in Krieg oder Gefangenschaft starben, der zivilen Opfer, aber auch der Menschen, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk, einer anderen Rasse oder einer anderen Religion angehörten, weil sie andere politische Überzeugungen hatten oder weil sie behindert waren. Als sie die Rede geschrieben habe, sei ihr immer klarer geworden, dass die Liste der Gründe, warum Menschen sich so etwas Verheerendes wie Krieg gegeneinander antun „unendlich lang ist – und erschrecklich willkürlich“. Der Volkstrauertag sei deshalb auch ein Tag der Mahnung zu Verständigung und Versöhnung und dazu, alles zu tun, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.
Vor hundert Jahren brach der 1. Weltkrieg aus, der zurecht die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ genannt werde, wie die Bürgermeisterin betonte. Mit ihm sei „die zivilisierte Welt in Abgründe“ gefallen, gleichzeitig war dieser Krieg der Geburtshelfer des Nationalsozialismus und des Kommunismus, jener beiden großen totalitären Systeme, die im 20. Jahrhundert Jahrzehnte das Leben nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa bestimmten und unendliches Leid über die Menschen gebracht haben.
Das öffentliche Interesse am 1. Weltkrieg und seinen Hintergründen sei in diesem Jahr groß gewesen. Vielleicht, so mutmaßte Müller, sind wir auch deshalb auf der Suche nach Antworten, weil Gewalt, Terror und Krieg um uns herum in erschreckendem Maße zunehmen, wie wir täglich in den Medien sehen. Aber erzählen die Bilder auch die Wahrheit, so ihre Frage. Manchmal, so die Haarer Bürgermeisterin, sollten wir kritischer sein und hinterfragen, wer welche Absicht verfolgt, wenn Bilder beweisen sollen, wer in einem Konflikt der Gute und wer der Böse ist.

Bürgermeisterin Gab Müller bei ihrer Rede, die Ehrenwache stellte auch heuer wieder die Reservistenkameradschaft Haar-Ottobrunn. Foto: B304)
Flüchtlinge sind keine Bedrohung,
sondern bedrohte Menschen
Was wir selbst derzeit hautnah erleben können, sei die Not der Menschen, die aus den Kriegsgebieten und anderen Gebieten dieser Welt nach Deutschland kommen und hier Schutz und Zuflucht suchen. In Haar leben derzeit 20 Flüchtlinge, die das Glück hätten, auf offene und hilfsbereite Menschen zu treffen, wie Gabi Müller betonte. Im Rathaus habe sie erlebt, dass das Leid der Flüchtlinge in ihrer Gemeinde eine Welle der Hilfsbereitschaft hervorrufe. Sie sei stolz, in einer Gemeinde zu leben, in der Flüchtlinge nicht als Bedrohung, sondern als bedrohte Menschen gesehen werden, die bei uns Schutz und Hilfe finden.
Damit, so die Bürgermeisterin, schließe sich der Kreis zu jener Feierstunde im Jahre 1922, die die Geburtsstunde des Volkstrauertages war. Der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe hatte in einer im In- und Ausland vielbeachtete Rede der Feindseligkeit den Gedanken der Versöhnung und Verständigung gegenüber gestellt, und wollte ein Zeichen der Solidarität setzen. Der Solidarität zwischen denen, die das Glück hatten, vom großen Leid verschont geblieben zu sein, und denen, die dieses Glück nicht hatten.